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ESAF 1961: Berliner Ehrendame

Das Eidgenössische Schwing-und Älplerfest findet dieses Jahr nicht zum ersten Mal in Zug statt. Schon 1943 und 1961 war Zug Austragungsort. 1961 mit dabei war Ude Mühlethaler, und zwar als Ehrendame. Weder hatte sie vom Schwingsport eine Ahnung, noch welch grosse Bedeutung solch ein Eidgenössisches Schwingfest für Zug hatte. Während die 12 aktuellen Ehrendamen aus den Kreisen der Schwingclubs rekrutiert wurden, galten damals noch andere Kriterien.

„Überhaupt war alles viel einfacher. Die Ehrendamen trugen damals noch keine Trachten, sondern schlichte blau-weiss gestreifte Kleider. Zug war noch eine überschaubare Kleinstadt“, erzählt sie.

Die gebürtige Deutsche stammt aus Berlin und machte dort eine Ausbildung zur Physiklaborantin. Im Jahr 1960 bewarb sie sich auf eine Anzeige hin bei der Landis + Gyr und erhielt die Zusage. Um in Zug Kontakte zu knüpfen, trat sie bald darauf dem Stadtturnverein Zug bei. „Während einer Turnstunde kam eine Jury vorbei, die Ehrendamen fürs Eidgenössische Schwingfest suchte. Wir mussten uns aufstellen, dann wählten sie 6 Mädchen aus, darunter auch mich und merkten wohl nicht, dass ich gar keine Schweizerin war“, erzählt sie schmunzelnd. Niemand reklamierte und so nahm alles seinen Lauf. Als beim Empfang und dem gemeinsamen Essen der damalige Bundesrat Ludwig von Moos das Wort an sie richtete und sie ihm auf hochdeutsch antwortete, war er für einen Moment perplex und erwiderte:

„Eine Deutsche als Ehrendame, das habe ich noch nie erlebt!“

Da der Bundesrat aber Interesse an der damals politisch heiklen Lage in Berlin zeigte (ein paar Wochen später wurde die Berliner Mauer gebaut), entwickelte sich das Gespräch trotzdem noch zum Positiven.

Den Höhepunkt des Schwingfestes, die Krönung des Schwingerkönigs, verpasste die damals 26-jährige leider. Als die Ehrendamen am Sonntag eine kurze Pause hatten, nahm ein Kollege sie mit auf eine Spritztour mit dem Auto, die mit einer Panne endete. Ude Mühlethaler schaffte es nicht mehr rechtzeitig in die Arena zurück. „Sie hatten mich überall ausrufen lassen, aber ich war ausser Reichweite. Die Krönung fand deshalb nur mit 5 Ehrendamen statt“, meint sie lachend. Nach dem Schwingfest wurde ihr bewusst, dass sie als Ehrendame eigentlich fehl am Platz war. Ihr späterer Mann, den sie bei der Arbeit in der Landis + Gyr kennen lernte und im Jahr 1964 heiratete, besuchte gern Schwingfeste, so erfuhr sie dann mehr vom Schwingsport.

„Ca. ein Jahr nach dem Schwingfest erschien ein Fotobuch über das Zugerland, für das mit einem Flyer in alle Haushaltungen mit 2 Fotos aus dem Buch Werbung gemacht wurde; einem pflügenden Bauer und einer „Berliner Ehrendame“, erzählt die heute 84-jährige. „Ich staunte nicht schlecht, aber der Fotograf wusste ja nichts von der ganzen Geschichte“, erzählt sie mit einem Lächeln. Das Buch besitzt sie noch heute, es wurde später überarbeitet nochmals aufgelegt.

Das diesjährige ESAF wird Ude Mühlethaler vor allem am Fernseher verfolgen. Unter die Menschenmassen will sie sich nicht mischen. Bei der Gabentempel Eröffnung am 9. August 2019 wird sie aber vor Ort sein und dort auf die 12 aktuellen Ehrendamen treffen.

Foto und Text: Séverine Huwyler (Ehrendame 2019)

Bilder von 1961 / Archiv: Ude Mühlethaler